Christoffer Sundqvist clarinet
Pekka Kuusisto violin
Finnish Radio Symphony Orchestra
conductor Hannu Lintu
Clarinet Concerto "Peregrinus Ecstaticus" (2012)
Le poids des vies non vécues (2014)
Double Concerto for Violin and Clarinet "Noesis" (2005)
Ondine ODE 1287-2 (2017)
(—) It's no wonder that Tüür is drawn to orchestral writing, given the penchant for propulsive, large-scale elementalism that is fully evident in this, the third release in an ongoing series from Ondine devoted to his music. Here the main dramas pit soloist/s against orchestra, with a complimentary single (clarinet) and double (violin and clarinet) concerto placed either side of the heartfelt 2014 orchestral elegy, Le poids des vies non vécues (The Weight of Unlived Lives). Peregrinus Ecstaticus (2012) and Noēsis (2005) are substantial, tumultuous works exploring the interplay between twin opposing poles. The Finnish Radio Orchestra and its chief conductor, Hannu Lintu, are joined with gusto by two superb soloists: the Finns' principal clarinet, Christoffer Sundqvist, together in the latter work with violinist extraordinaire, Pekka Kuusisto – whom he matches in precision and liquid tone.
Tüür's material is passionately direct, with intricate, trailing lines and passages of ominously intense stasis punctuated by explosive climaxes. Lintu shapes it with spirit – and mostly convincingly. (---)
BBC Music Magazine. Steph Power
It is Erkki-Sven Tüür’s tight control of material and form that frees his notes up to have such impact. The concerto for violin and clarinet Noēsis (2005) charts ‘the slow but continuous integration of different elements, so that they finally form a new inseparable substance’. (---)Tüür’s newer clarinet concerto Peregrinus ecstaticus(2012) is similarly taut, juxtaposing two groups of material that circle around one another until you realise something bigger, perhaps derived from those ideas themselves, is in control. Or perhaps you don’t. It’s fine just to marvel at Tüür’s organic and dynamic use of texture – of which I could list countless examples, but the most obvious is his conjuring of extraordinary low sounds – and his control of the resulting energy, which surely owes a little to Magnus Lindberg.
In Les poids des vies non vécues (2014) Tüür reveals his Baltic soul most clearly. This ‘small Requiem for those whose lives have been disrupted’, which treads downwards in the manner of a lament, is not a filler but a deeply moving interlude. Hannu Lintu’s Finnish Radio SO show their class in all three performances, each full of considered phrasing, deep listening and impressive agility (the same can be said of the soloists). Tüür is blossoming into a composer of true significance. Go listen.
Gramophone. Andrew Mellor.
Im Laufe seines inzwischen auch schon 30-jährigen Komponistenlebens hat der aus Estland stammende Erkki-Sven Tüür immer wieder versucht, einen Schritt weiter bzw. in eine andere Richtung zu gehen. Und dank dieser Neugier und Offenheit fürs Unbekannte im eigenen Schaffensbereich ist bislang ein beachtlicher Werkkatalog entstanden, der ein stattliches Spektrum aufweist. Mag Tüür sich und sein Klangdenken anhand einer von ihm entwickelten neuen Kompositionsmethode selbst dezent immer wieder neu befragen, so besitzen gerade seine Instrumentalwerke stets einen exklusiven, in Tüürs Kompositionen so noch nicht angedeuteten oder ausformulierten Kern. Und weil Tüürs Musik sich in einem ständigen Wandlungsprozess befindet, spiegeln denn auch die drei jetzt neu aufgenommenen Stücke den faszinierenden Reichtum einer zeitgenössischen Musik wider, bei der Raffinement, Tiefe und Sinnlichkeit sich in einem ständigen Wechselspiel befinden. Neun Jahre liegen zwischen dem ältesten hier eingespielten Werk (dem Doppelkonzert „Noēsis” für Violine und Orchester von 2005) und dem jüngsten (dem Orchesterstück „Le poids des vies non vécues“ von 2014). Und vielleicht könnte man als einziges verbindendes Band auch mit dem Klarinettenkonzert „Peregrinus Ecstaticus“ (2012) eine Nähe zu den fluoreszierenden, sich vegetativ ausbreitenden Klangorganismen etwa eines Olivier Messiaen ausmachen. Andererseits kommt Tüür sehr gut ohne solche Leitsterne der Moderne aus. Seine Musik besitzt zwar eine ungemeine Anziehungskraft, die sich aus vertrauten Klangmodellen zu speisen scheint. Trotzdem zieht sie einen nicht einfach in den Bann, sondern erfordert höchste Aufmerksamkeit. Sei es nun das auch geheimnisvoll mit Echo-Klängen spielende Klarinettenkonzert, das auch mal wuchtige Orchesterstück „Le poids des vies non vécues“ oder das im Gespenster- und Koboldhaften kulminierende Doppelkonzert „Noēsis”. Dass jedes dieser Stücke einen sofort packt, liegt aber nicht zuletzt mit am großartigen, in allen Belangen engagiert zupackenden finnischen Musikerstab um Dirigent Hannu Lintu.
www.rondomagazin.de Guido Fischer 22. 04. 2017
Schillernd schön
CD-Tipp vom 31.3.2017
Als junger Mann hatte Erkki-Sven Tüür im Estland der frühen 80er Jahre seine Musikkarriere in einer progressiven Rock Band begonnen. Obwohl Tüür schon in der eher muffigen Populärkultur hinter dem Eisernen Vorhang extrem anspruchsvolle Stücke für seine Bandmitglieder schrieb, wurde ihm die Rock-Welt irgendwann musikalisch zu eng.
Numerische Reihen als Basis
Tüür begann ein reguläres Studium, und sein Professor hatte eine riesige Schallplattensammlung mit Boulez, Stockhausen, Nono oder Ligeti. Inzwischen geht Tüür selbst auf die Suche nach neuen Techniken des Komponierens. Numerische Reihen sind die Basis seines Schreibens, die Zahlen verweisen aber nicht auf Tonhöhen, sondern auf Intervalle, beschreiben also eher den Weg von einem erreichten Punkt der Musik zum nächsten, wie Vektoren, wenn man die Schulmathematik bemühen will.
In die Finger geschriebene Klangarchitekturen
„Vektorkomponist“, das klingt nun als Beschreibung doch eher trocken verkopft. Aber das täuscht. Tüürs Klangarchitekturen sind in die Finger geschrieben, er denkt von den handwerklichen Möglichkeiten der Instrumente aus. Oder einfach gesagt: Es klingt, als hätten die Musiker Spaß daran, mit Tüürs Musik ihre Instrumente zu bedienen.
Kompositionsprozess beginnt mit Bildern, Zeichnungen und Grafiken
Komponist Tüür besteht darauf, dass seine numerischen Reihen, die Vektorenketten, nur eine Art Quellcode seien, den er beim Komponieren im Hinterkopf habe. Tatsächlich beginne der Kompositionsprozess mit Bildern, mit Zeichnungen und Grafiken, die er zunächst für sich male, und die er dann mit seinen musikalischen Vektoren realisiere. Man kann das verkopft finden oder esoterisch oder irgendetwas dazwischen.
Letztlich behält beim Verbalisieren von Musik eigentlich immer Mendelssohn recht: „Es wird so viel über Musik gesprochen und so wenig gesagt.“ – Diese alte Weisheit ist wohl der Schlüssel zu Tüürs Musik. Hört man sie, kann man sich ihrer schillernden Schönheit kaum entziehen, egal, wie sie „gemacht“ wurde.
CD-Tipp vom 31.3.2017 aus der Sendung „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“ Jörg Lengersdorf